Dienstag, 12. Oktober 2010

Zwischen Privileg und Rassismus

Es ist Samstagmorgen, 9 Uhr. Ich laufe über die Zeil in Frankfurt. In der rechten Hand halte ich einen Starbuckskaffee, die linke Hand schwingt schnell hin und her, ich laufe stramm. Auf dem Weg zum Mainufer bleibe ich vor dem Römer stehen und schaue mir ein Hochzeitspaar an. Plötzlich entdecke ich einen Schwarzen, der mir in 200 Meter Entfernung entgegenkommt und ich brülle über den ganzen Römerplatz: „Schwarzer Mensch!“ Die Aufmerksamkeit gilt nun nicht mehr den frisch Verheiratenden, sondern dem Schwarzen. Weitere Leute, darunter auch das Brautpaar, stimmen mit ein: „Schwarzer Mensch!“. Ich spüre wie es dem Schwarzen unangenehmer wird so viel Aufmerksamkeit zu bekommen, aber das ist mir egal. Vorsichtig nähere ich mich ihm. Ich muss ihn anfassen. Seine Haut fühlt sich bestimmt anders an. Ich habe einen Schluck von meinem Kaffee verschüttet, aber es hat sich gelohnt. Es ist doch keine Farbe, er ist wirklich schwarz. Noch einmal rufe ich ihm „Schwarzer Mann“ hinterher und schon ist er um die Ecke gebogen.

Eine solche Geschichte kann man sich in Deutschland nicht vorstellen. Schließlich ist das rassistisch!

In Ghana bin ich mit „Obroni“-Rufen (Weißer Mann) jedes Mal, wenn ich auf die Straße, in den Ort, auf den Markt und in die Schule gehe, konfrontiert. Doch im Gegensatz zu Deutschland ist das hier kein Rassimus. In Ghana spricht man von dem Privileg weiß zu sein. Ich werde von vielen GhanaerInnen zum Essen eingeladen, sitze bei Veranstaltungen neben den Chiefs und Stammesältesten ohne das Dorf und die Menschen zu kennen und habe im Durchschnitt mehr Geld als die GhanaerInnen zur Verfügung, denn ich bin weiß. Das Geld ist Grund dafür, dass ich eine hohe Aufmerksamkeit bekomme. Ich werde von zahlreichen Fremden angesprochen. Die einen grüßen nur freundlich, die anderen wollen meine Handynummer und meine Freundschaft. Manche laden sich bei mir zum Essen ein, wollen mit nach Deutschland genommen werden oder betteln um ein paar Cedi. Das Schlimmste aber sind die Obroni-Rufe. Ich fühle mich nicht wohl dabei, dass die GhanaerInnen meine Hautfarbe sehen, mir demnach den Namen geben und die Person dahinter ausblenden. Ich bin nicht Torben, sondern der reiche Weiße aus Europa. Nicht nur, dass es mir sehr unangenehm ist so genannt zu werden, auf dem Markt und in den Taxis bekommen wir fast jedes Mal höhere Preise genannt. Diskriminierung? Rassismus? Privileg?

Ein Privileg ist ein Vorrecht, dass einer Person oder Personengruppe zugestanden wird. Rassismus ist eine ethnisierte Gruppenbildung (z.B. Weiß / Schwarz), die Abwertung einer Gruppe und die dazugehörige Macht eine Ungleichbehandlung zu erzeugen.

Ich komme aus Europa, kann reisen wohin ich will und habe genügend Geld. Ich habe eine bevorzugte Stellung im Gegensatz zu den meisten GhanaerInnen, für die ein Besuch in Europa auch wegen Geldgründen undenkbar wäre. Ich habe das Privileg weiß zu sein.

Ich bin weiß. Die GhanaerInnen sehen meine Hautfarbe und nehmen mich als Einzelnen nicht mehr wahr. Und da viele GhanaerInnen das so sehen und mich nach meiner Hautfarbe werten, ist die gesellschaftliche Ungleichbehandlung erzeugt. Rassistische Diskriminierung findet bei mir auf der Ebene der individuellen Nicht-Anerkennung und Benachteiligung statt.

Bin ich nun ein Nutznießer des Privilegs weiß zu sein oder Opfer von Rassismus?

Ich muss mir hier keine Gedanken über Geld machen, habe somit genug zu essen, ein Dach über dem Kopf, (in der Regel) fließendes Wasser und Strom. Ich bin ein reicher Mann, Deutschland sponsert mich. Ich fühle mich als Nutznießer des Privilegs.

In dem Moment, wo ich auf die Straße gehe, fühle ich mich durch die hohe Aufmerksamkeit und Obroni-Rufe diskriminiert. Ich fühle mich unwohl, fremd und ausgeschlossen. Doch man kann nicht in die Köpfe der Menschen hineinschauen. Woher soll ich wissen, welches Bild die GhanerInnen vor Augen haben, wenn sie mich „Weißer Mann“ rufen? Ist es neutral oder wertend? Für mich persönlich ist es zweiteres. Ich fühle mich als Opfer von Rassismus. Aber natürlich kann man den Rassismus hier nicht mit der Judenhetze im dritten Reich oder der Rassentrennung in den USA gleichsetzen. Ich trage keinen körperlichen Schaden.

Privileg und Rassismus sind anscheinend verflochten. Jeder muss selbst für sich ausmachen, wann er sich diskriminiert oder bevorzugt fühlt. Man kann nicht pauschalisieren und nur eine Antwort auf die Frage „Privileg oder Rassismus“ finden. In Deutschland werden Schwarze in der Öffentlichkeit eher ignoriert, hier widerfährt mir die größte Aufmerksamkeit.

Mittwoch, 6. Oktober 2010

Der Alltag pendelt sich ein

Nachdem die Schulen geöffnet haben, fängt mein Jahr an. Doch mit der Öffnung der Schule beginnt noch nicht der Unterricht. Erst einmal ziehen die SchülerInnen mit Besen und Machetten bewaffnet in den Krieg gegen Schmutz und Dreck und bringen die Schule so richtig auf Vordermann. Von den Headmastern und LehrerInnen war die erste Schulwoche noch wenig zu sehen. Manche LehrerInnen kommen erst einen Monat nach Schulanfang. Um LehrerIn in Ghana zu werden, muss man auch nicht studieren. Die fehlende pädagogische Ausbildung wird mit einem Schlagstock, der schwungvoll drohend in der Hand geschwungen wird, ausgeglichen. „Afrikanische Kinder sind wie Tiere, man muss sie schlagen“, so rechtfertigte ein Lehrer einer Schule in CapeCoast den Einsatz des Stockes.
Ich persönlich habe noch nicht gesehen, wie ein Kind geschlagen wird. Nichtsdestotrotz steht auf meiner Regelliste für den KidsClub auf Platz eins „No Violence, no caneing“. Mit meiner deutschen Logik kann ich auch nicht nachvollziehen, wie man bei solch einem negativen Druck kreative Gedanken hervorbringen kann. Aber das ist auch nicht Ziel der Schulbildung in Ghana, wie ich schon bei der Begrüßung bemerkt habe. Nach einem „Hello“ kam mir sogleich ein auswendig gelerntes „Good Morning Sir! We are fine, thank you. How are you?“ entgegen, dass mich an Soldaten erinnert, die am Ende ihrer Kräfte versuchen synchron zu marschieren. Frontalunterricht mit Auswendiglernen wird der Vorzug gegenüber kreativem Unterricht mit Gruppenarbeiten und eigener Meinung gegeben.
Doch ich bin weder Pädagoge noch Lehrer. Vielleicht gelingt es mir trotzdem das selbstständige Denken in den Köpfen der Kinder zu wecken.

Angefangen haben die KidsClubs ganz gut. Wir sind an vier Schulen (Ankukrom, Gesdi, Abowinum und Methodist-School). In Ankukrom und Methodist biete ich den KidsClub für die vierten und fünften Klassen an, in Gesdi für die vierten bis sechsten Klassen und in Abowinum für die dritte. Das Problem in Abowinum ist, dass die Kinder so gut wie kein Wort Englisch sprechen und mich auch nicht verstehen. Das interessante ist: Betteln können sie alle auf Englisch. Da werden schnell Forderungen nach Fußballschuhen, Fahrrädern und Kleidungsstücken gestellt (mehr im nächsten Artikel „Zwischen Privileg und Rassismus“). Und die Erklärung, dass ich nicht in der Lage bin, ihnen materielle Geschenke zu machen, wird dann nicht verstanden.
Die anderen KidsClubs laufen dagegen richtig gut. Die Kinder verstehen grob das, was ich von ihnen will und haben Spaß bei den Spielen. Nach der Kennenlernphase folgen Themenphasen wie Mathematik, Fußball, Leichtathletik, Deutsch und Gesundheit. So ist zumindest der Plan.

Fast zwei Tage hatten wir nun kein fließendes Wasser und keinen Strom. Fazit: Es gibt schlimmeres als im Kerzenschein zu Abend zu essen. Es kommt immer drauf an, was man aus seiner Situation macht!